Der neun­te Ein­trag oder All Souls School

Der neun­te Ein­trag oder All Souls School

Julia­ne Kratzer 

26/11/2022

Für mich beginnt der Schul­tag um cir­ca 10:40 Uhr, wenn ich vie­le Kin­der­fü­ße durch den Kies in der Ein­fahrt zum Child­ren Cen­ter schlur­fen höre. Dann ist es Zeit für mich, den Lap­top her­un­ter­zu­fah­ren und in den Spei­se­saal zu gehen. Der Raum ist erfüllt von lei­sen Kin­der­stim­men, Schlür­fen und dem Geräusch von Plas­tik­be­chern, die auf den Tisch abge­stellt wer­den. Die Schüler*innen haben gera­de „tea break“, also Jau­sen-Pau­se und bekom­men Toast­brot und Tee.

Für alle, die nicht – so wie ich – bloß Besu­chen­de sind, son­dern in der Schu­le ler­nen oder leh­ren, beginnt der Tag schon etwas frü­her. Um 8:00 Uhr star­tet der Unter­richt. Nach einer kur­zen Pau­se um 9:50 Uhr geht es dann wei­ter, bis um 10:40 Uhr die Glo­cke zum Tee läutet.

Nach­dem die­ser aus­ge­trun­ken ist und alle Brö­sel von den Tisch­plat­ten besei­tigt sind, geht es– mal mehr, mal weni­ger in ordent­li­chen Zwei­er­rei­hen – zurück zum Schul­ge­bäu­de, das nicht mehr als 200 m vom Child­ren Cen­ter ent­fernt ist. Bei schö­nem Wet­ter spie­len die Kin­der dann noch 20 Minu­ten im „field“ – eine mit Gras bewach­se­ne Flä­che, die auch als Sport­platz dient und mit Sta­chel­draht umzäunt ist. Durch die­sen ent­steht im ers­ten Moment zwar nicht unbe­dingt der Ein­druck, als hand­le es sich bei dem Gebäu­de um eine Bil­dungs­ein­rich­tung für Kin­der, doch betrach­tet man den Rest des Grund­stü­ckes, erkennt man den Ort durch­aus als eine Schule.

Ein gro­ßes, grü­nes Tor, über dem ein Schild mit der Auf­schrift „All Souls School“ hängt – eben­falls in groß und grün gehal­ten – ist der von einem „sol­dier“ Tag und Nacht gut bewach­te Ein­gang zur Schu­le. Hat man die­sen pas­siert, fin­det man zwei Rei­hen von je vier Räu­men, die par­al­lel ange­ord­net sind. Zwi­schen den bei­den Rei­hen ist ein Platz, der links und rechts (an den Ein­gän­gen zu den Klas­sen) über­dacht ist, sodass bei Regen nie­mand nass wird, der von der einen in die ande­re Klas­se gehen möch­te. Auf dem nicht-über­dach­ten Teil des Plat­zes stel­len sich die Kin­der paar­wei­se auf, um zum Essen zu gehen, oder um mon­tags und frei­tags die kenia­ni­sche Flag­ge zu his­sen bzw. ein­zu­ho­len. Der ers­te Raum der rech­ten Zim­mer­rei­he dient als Direk­ti­on und Sekre­ta­ri­at, danach fol­gen zwei Klas­sen­räu­me und ein „frei­er Raum“, der Acti­vi­ty Room genannt wird und in dem Auto­rei­fen, Spring­schnü­re, Säcke und Bäl­le für die Turn­stun­den auf­be­wahrt wer­den. Auf der lin­ken Sei­te befin­den sich vier Klas­sen und WCs für Kin­der und Lehr­kräf­te (Für alle, die sich das jetzt nicht so gut vor­stel­len kön­nen – was durch­aus ver­ständ­lich ist! – gibt es unten ein Foto. Bil­der sagen ja bekannt­lich mehr als tau­send Worte).

Wenn die Glo­cke von einer Lehr­per­son geläu­tet wird, tum­meln sich alle wie­der in ihre Klas­sen­räu­me. Momen­tan (also im Novem­ber 2022) sind 32 Schüler*innen Teil der Schu­le, die im April 2022 eröff­net wor­den ist. Davon woh­nen 14 Kin­der auch im SAS Child­ren Cen­ter, die übri­gen kom­men aus den umlie­gen­den Dörfern. 

Viel­leicht soll­te ich – bevor wir uns den ein­zel­nen Klas­sen wid­men – kurz die Geschich­te erzäh­len, war­um die­se Schu­le über­haupt gebaut wor­den ist: Nach eini­gen Miss­brauchs­vor­fäl­len in ande­ren pri­va­ten Wai­sen­hei­men Keni­as ver­schärft die Regie­rung die Bestim­mun­gen für Wai­sen­häu­ser, etwa dür­fen nur noch Kin­der, die gar kei­ne Ver­wand­ten mehr haben, auf­ge­nom­men wer­den. Um den SAS-Kin­dern den­noch wei­ter hel­fen zu kön­nen, beschließt man, das Child­ren Cen­ter nun als Inter­nat zu füh­ren, wofür auch eine Schu­le not­wen­dig ist. Außer­dem ist die Schu­le, die die SAS-Kin­der in vor-All-Souls-School-Zei­ten besucht haben, in den letz­ten Jah­ren schüler*innenmäßig rasant gewach­sen und hat damit lei­der an Qua­li­tät ver­lo­ren. Jetzt, da die neue Schu­le Teil der Orga­ni­sa­ti­on ist, kann man den Kin­dern eine bes­se­re und vor allem indi­vi­du­el­le­re Schul­bil­dung ermög­li­chen. Und zu guter Letzt soll die „All Souls School“ Save a Soul auch lang­fris­tig finan­zi­ell unter­stüt­zen. Denn alle exter­nen Schüler*innen zah­len Schul­geld (umge­rech­net cir­ca 75–90€ pro Tri­mes­ter pro Kind – je nach­dem in wel­cher Schul­stu­fe sich die­ses befin­det), was nach Abzug der Per­so­nal- und Mate­ri­al­kos­ten bei genü­gend Schüler*innen einen Gewinn ergibt, der einen Teil der lau­fen­den Kos­ten des Child­ren Cen­ters deckt. Damit kann die Orga­ni­sa­ti­on irgend­wann unab­hän­gig (oder zumin­dest unab­hän­gi­ger) von öster­rei­chi­schen Spen­den werden.

Doch das sind alles Gedan­ken an die Zukunft, besin­nen wir uns wie­der auf das Hier und Jetzt. Die Schul­glo­cke hat also geläu­tet, alle Kin­der gehen zurück in ihre Klas­sen. Und wir gehen mit! Die Klas­se mit den Jüngs­ten heißt PP1 (Pre-Pri­ma­ry One). Zwei- bis Fünf­jäh­ri­ge spie­len dar­in mit Bau­stei­nen, bas­teln, malen und sin­gen Lie­der. Die Älte­ren unter ihnen (also die Vier- und Fünf­jäh­ri­gen) ler­nen auch schon Buch­sta­ben und Zah­len ken­nen, lesen Sil­ben und Addie­ren. Außer­dem bekom­men sie jeden Tag eine klei­ne Hausübung.

Einen Raum wei­ter in PP2 (du hast es erra­ten – es steht für Pre-Pri­ma­ry Two) kön­nen die Kin­der bereits von der Tafel abschrei­ben (auch wenn das manch­mal mit einer Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit von einem hal­ben Wort pro Minu­te pas­siert), addie­ren und sub­tra­hie­ren und ein biss­chen lesen.

Nach die­ser Klas­se, die der Vor­schu­le in unse­ren Brei­ten­gra­den nicht unähn­lich ist, geht es zunächst wie in Öster­reich wei­ter. In der ers­ten bis zur vier­ten Klas­se ler­nen die Kin­der bes­ser Lesen und Schrei­ben, Mul­ti­pli­zie­ren, Divi­die­ren und Bruch­rech­nen, Weben (mit Papier und Faden), aber auch Grund­la­gen der Ers­ten Hil­fe, wel­che Pflan­zen um sie her­um wach­sen und was in der Bibel steht. Doch das kenia­ni­sche Pen­dant zum Kon­zept der Volks­schu­le umfasst nicht vier, son­dern sechs Klas­sen. Die letz­ten bei­den (also Gra­de 5 and Gra­de 6) kön­nen in der „All Souls School“ noch nicht ange­bo­ten wer­den, da zu wenig Klas­sen­räu­me und Lehr­kräf­te vor­han­den sind. Doch irgend­wann soll ein zwei­ter Stock gebaut wer­den, um die gesam­te „Primary“-Ausbildung an die­ser Schu­le absol­vie­ren zu kön­nen. Doch auch das sind Gedan­ken an die Zukunft.

Erst kürz­lich ist das Bil­dungs­sys­tem in Kenia refor­miert wor­den. Das „CBC-cur­ri­cu­lum“ rückt vie­le prak­ti­sche Akti­vi­tä­ten in den Mit­tel­punkt. Und das bekom­me ich auch zu sehen. Ich bast­le mit Gra­de 3 ein Pla­kat über Far­ben und For­men, darf den Erst­kläss­lern beim Weben hel­fen und sehe, wie die PP1-Kin­der ler­nen, Geschirr zu waschen. Außer­dem gibt es Obst­ver­kos­tun­gen und die Kin­der bas­teln alles Mög­li­che (von Ers­te-Hil­fe-Käs­ten über Taschen aus Papier bis hin zu Hüten in den Far­ben der Lan­des­flag­ge). Die Klas­sen sind geschmückt mit Pla­ka­ten, Bil­dern und dem Alpha­bet. Alles ist sehr bunt. Wenn jemand eine Auf­ga­be gelöst hat, ruft die gan­ze Klas­se „One, two, three, you are the best“ und klatscht. Aber natür­lich gibt es auch Stun­den, in denen die Kin­der über Bücher gebeugt an ihren bun­ten Tischen sit­zen und ver­su­chen, unter­schied­lichs­te Auf­ga­ben zu lösen. Unter­stützt wer­den sie dabei von einem ziem­lich jun­gen Lehrer*innenteam.

Um 12:50 Uhr läu­tet die Glo­cke zum „lunch“, die grö­ße­ren Kin­der schnap­pen sich jeweils ein Klein­kind und so geht es zum Child­ren Cen­ter. Nach dem Mit­tag­essen gibt es wie­der eine kur­ze Pau­se im „field“, bis die Glo­cke den Nach­mit­tags­un­ter­richt bis 16:40 Uhr ein­läu­tet. Die Schüler*innen bas­teln und malen, haben aber auch Mathe oder Eng­lisch. Doch nicht am Frei­tag. Denn da tau­schen die Kin­der ihre Schul­uni­for­men gegen knall­gel­be (oder knal­l­oran­ge­ne, wel­che Far­be genau, dar­über ist schon die ein oder ande­re Dis­kus­si­on ent­brannt) Sport-T-Shirts, dun­kel­ro­te Jog­ging­ho­sen und Trai­nings­ja­cken – natür­lich alle bestickt mit dem Schul­lo­go: eine flie­gen­de Tau­be mit einem Zweig im Schna­bel. Statt am Nach­mit­tag in der Klas­se zu sit­zen, gehen dann alle ins „field“ und spie­len Spie­le, lau­fen zwei Run­den um den Platz oder machen „frog jumps“, bis die Schul­glo­cke das Ende einer Schul­wo­che anzeigt. Die Flag­ge wird ein­ge­holt, die Kin­der stel­len sich ordent­lich auf. Dann wird gebe­tet und eine Lehr­per­son wünscht den Kin­dern ein schö­nes Wochen­en­de und erin­nert sie noch­mal an die Haus­übung oder an kom­men­de Prü­fun­gen. Danach gehen alle nach Hau­se und im Schul­ge­bäu­de kehrt Ruhe ein. Wenn auch nur für zwei Tage.

Noch ist die Schu­le rela­tiv klein und ziem­lich jung. Aber ich bin über­zeugt, dass sie noch wach­sen wird. Und dass irgend­wann mehr als durch­schnitt­lich 5,33 Kin­der in einer Klas­se sind. Gemäß dem Schul­mot­to ist es auch „time to ari­se and shi­ne“ für die All Souls School. 

Ich wer­de wei­ter berichten.

Bis bald,

Julia­ne

Der neun­te Ein­trag oder All Souls School
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